Auf Biberpfaden und Darwins Spuren

Published by Olivier Flechtner on

7. November 2024

Zur Laguna Robalo

Am heutigen Donnerstag ist – bei erneut perfektem Wanderwetter – das Ziel, dem Rio Robalo entlang zur gleichnamigen Lagune Robalo zu wandern. Die Lagune wird auch «Lago Robalo» genannt – wann genau etwas «Lago» heisst und wann «Laguna«, konnte uns aber bisher noch niemand wirklich schlüssig erklären.
Schon bald bemerken wir, wie wir dank der gestrigen Führung viel aufmerksamer und bewusster durch diese Wälder gehen und auf die Artenvielfalt bei den Flechten und Moosen achten. Aber auch sonst beachten wir die Vegetation viel besser. Auf nur knapp 550 Höhenmetern – von der Meereshöhe bis zur Baumgrenze – wachsen drei Typen Wald. Bis etwa 200 m ü.M. ist es ein dichter, immergrüner Wald, in der die Coihue-Südbuche und der chilenische Feuerstrauch dominieren, aber auch viele Lenga-Südbuchen stehen (siehe auch gestrigen Eintrag). Ab einer Höhe von 200 m finden sich mehrere offene Grasflächen und Hochmoore, und die Wälder sind viel offener. Ab etwa 400 m wachsen die Südbuchen strauchartig und schmiegen sich an die warmen Bergflanken – und sehen damit sehr ähnlich aus wie Schwarzerlen, die bei uns im alpinen Raum wachsen.

Die Wanderung ist eigentlich nicht sehr anspruchsvoll, führt jedoch durch den beinahe unberührten Wald, in dem viele Baumstämme kreuz und quer über dem Weg liegen. Immer wieder durchqueren wir auch sumpfiges Gebiet, wo wir von Grashügel zu Grashügel hüpfen oder auf dünnen Baumstämmen balancieren, wir klettern über grosse Stämme oder müssen unter ihnen durchkriechen. Das Ganze gleicht mehr einem Hindernislauf als einer Wanderung – und geht ungemein in die Gesässmuskulatur. Auf der Wanderung wird uns auch bewusst, wie ursprünglich diese Wälder sind. Wir sind beide das erste Mal in einem Urwald, der diesen Namen auch verdient und der nicht erst seit wenigen Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten weitgehend unberührt ist. Wir können uns sehr gut vorstellen, wie der junge Charles Darwin Mitte des 19. Jahrhunderts fasziniert gewesen sein muss von dieser völlig anderen Tier- und Pflanzenwelt.

Die Lagune liegt auf beinahe 300 m über Meer. Bei ihr angekommen, entdecken wir am Abfluss einen beeindruckenden Biberdamm, der den Wasserspiegel der gesamten Lagune um mehr als einen Meter angehoben hat. Etwas hinter dem Damm liegt der Bau des Bibers, der knapp 2 m hoch aus dem Wasser ragt. Beide Bauten sind mit Steinen verstärkt und über Wasser auch mit Lehm abgedichtet.

Der Biber und andere Problemtiere

Von Matías haben wir gestern erfahren, dass beim letzten Hochwasser im unteren Bereich des Flusses eine Brücke weggerissen wurde. Nun sehen wir, dass der Biberdamm sehr neu aussieht, und die Ufer der Lagune lassen vermuten, dass der Damm noch vor kurzem etwas höher war: die Vegetation hört rund 30 cm über dem heutigen Wasserspiegel auf und die Steine über dem Wasser sind sehr sauber. Ein paar Meter flussabwärts liegen auch Reste eines alten Dammes – wir spekulieren darum, dass der Biberdamm möglicherweise bei einem Unwetter gebrochen ist und dadurch das Hochwasser massiv verstärkt wurde, als die Lagune schlagartig auslief. So sehr ich mich dafür begeistern kann, das erste Mal einen «richtigen» Biberbau und so grossen Damm zu sehen, auf dem ich problemlos den Fluss überqueren könnte, so sehr wird mir auch klar, wie sehr dieses Tier, das hier überhaupt nicht hingehört, sondern von Europäern ausgesetzt wurde und keine Feinde hat, zu einem Problemtier geworden ist. Dies sehen wir auch nochmals auf dem Rückweg, als wir eine Fläche von etwa 300m2 entdecken, die von einem anderen Biber komplett gerodet wurde. Bis diese Bäume im hiesigen Klima nachwachsen, dürfte es eine Weile dauern, und es scheint, dass die hiesige Natur für solche Eingriffe nicht gerüstet ist.

Neben dem Biber sind aber auch andere Tiere ein Problem auf der Insel. Mit dem amerikanischen Nerz wurde ein Fleischfresser eingeführt, der sich stark vermehrt und die Vögel, die am Boden oder in geringer Höhe brüten, stark bedroht.1
Ein weiteres Problem sind die zahlreichen streunenden Hunde, die die Guanakos in den Südteil der Insel getrieben haben. Pferde und Kühe laufen frei herum und verändern mit ihren Ausscheidungen, die auch im Wald herumliegen, das Ökosystem. Vor der Ansiedlung dieser Tiere gab es auf der Insel nur gerade fünf Säugetiere: Neben den Guanakos noch zwei kleine Nager und 2 Fledermausarten, aber keine Fleischfresser.

Fotogalerie: Wanderung zur Laguna Robalo

Die kulinarische Entdeckung: Digueñes

Zurück in Puerto Williams setzen wir uns in ein kleines, gemütliches Kaffee und geniessen ein Stück herrlichen Quarkkuchen mit Passionsfrucht-Coulis. Kurz nach 19h ziehen wir weiter ins Restaurant, in dem es heute Sushi mit den Pilzen («Digüeñes«) gibt, die wir gestern kennen gelernt haben. Wir nehmen das «Sushi libre», bei dem der Koch entscheidet, welche Sushi auf den Tisch kommen – die Auswahl ist zu verlockend. Die ersten Sushi sind mit Congrio (ein sehr feiner Fish, siehe Eintrag vom 22.–24. Oktober) und Frischkäse, die zweiten mit Centolla (Königskrabbe) und Avocado und die dritten mit Austern (die hier ein sehr festes, weisses Fleisch haben, so wie Jakobsmuscheln) und Frischkäse – alle drei sind hervorragend. Dann kommt endlich das Objekt der Begierde: In der Sushirolle ist ein kleines Omelette mit den Digüeñes, dazu auch Avocado und Frischkäse und auf den Sushi ausserdem noch ein Ceviche aus Judasohren – sehr lecker.

Im Restaurant treffen wir auch Anne wieder – die französische Touristin, die wir vorgestern im Museum und auch schon im Restaurant kennenlernen durften. Wir tauschen unsere Eindrücke und unsere Erlebnisse aus und sind uns rasch einig: Puerto Williams ist eine Reise wert – und wir sind auch alle drei etwas betrübt, dieses Städtchen bereits wieder zu verlassen. Jetzt, da wir erste Kontakte knüpfen konnten, würden wir gerne noch etwas länger bleiben und mehr über die Menschen, ihre Probleme und Sorgen und ihre Kultur erfahren. Doch bei allen winkt schon der Abschied – Anne fliegt morgen ab, und wir werden am Samstag die Fähre nehmen. Wir blicken jedoch schon jetzt dankbar auf einen schönen, interessanten und erfüllenden Aufenthalt in der südlichsten Stadt der Welt zurück – und würden alle nochmals her kommen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Gesättigt, müde und zufrieden begeben wir uns schliesslich gegen 23h in unser Hotel und fallen sofort ins Bett.

Das kulinarische Extra

Lust auf Rezepte mit Digüeñes? Dann schaut zum Beispiel hier nach:
https://cookpad.com/cl/buscar/digueñes

Quellen

  1. Schüttler E., Cárcamo J., Rozzi R.; 2008. «Diet of the American mink Mustela vison and its potential impact on thenative fauna of Navarino Island, Cape Horn Biosphere Reserve, Chile«. Revista chilena de historia natural, 81:585-598. ↩︎

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