Der Wind, der Wind…

Published by Olivier Flechtner on

… das himmlische Kind!

25. Oktober 2024

Ohne Mütze geht in Punta Arenas gar nichts. Der vorherrschende Westwind trifft ungehindert auf die patagonische Küste, und auch hier in Punta Arenas, das ja doch nicht ganz an der Westküste liegt, entfaltet er noch einen Grossteil seiner Wucht.

Als Erstes organisieren wir unser Mietauto. Bis wir es in Empfang nehmen können, müssen wir etwas warten. Zeit für ein kleines Frühstück und einen Besuch in einem Handwerkerladen, wo ich mir einen extra warmen, handgestrickten Wollpulli besorge. Ich gehe davon aus, dass ich ihn die nächsten Tage sehr lieb gewinnen werde.

Am Nachmittag gehen wir zuerst an das Meer, wo den Seefahrern mehrere Denkmäler gewidmet wurden. Anschliessend erhalten wir von unserer Gastgeberin eine sehr interessante Stadtführung durch Punta Arenas. Die Stadt wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert von vielen kroatischstämmigen Immigranten besiedelt, die wegen der Goldfunde in Feuerland hierher kamen. Aus dieser Zeit stammen noch einige wenige Kopfsteinpflaster, die erhalten geblieben sind. Im Stadtzentrum steht ein Denkmal zu Ehren von Ferdinand Magellan, zu dessen Füssen eine zweischwänzige Meerjungfrau abgebildet ist. Sie symbolisiert die beiden Ozeane, welche sich zu beiden Enden der nach ihm benannten Passage befinden.

Am nördlichen Rand der Stadt liegt das Museum Nao Victoria, das nach einem der Schiffe benannt ist, die zu Magellans Armada gehörten, mit der dieser die Suche nach der Verbindung des Atlantiks mit dem Pazifik in Angriff nahm. In diesem Museum steht ein Nachbau der «Nao Victoria«. «Nao» bezeichnete dabei den Schiffstyp; es handelte sich um sehr robuste Schiffe mit einem hohen Ladevolumen, die auch sehr stabil gebaut waren, weshalb sie stark bewaffnet werden konnten. Für die damalige Zeit waren aus die Schiffe, die am härtesten am Wind fahren konnten – mit den heutigen Segelschiffen eine Selbstverständlichkeit, damals aber das genaue Gegenteil, da die üblichen rechteckigen Rahsegel nur einen Kurs vor dem Wind zuliessen. Von der Victoria gibt es keinen genauen Plan, es lässt sich nur aus den Schilderungen ableiten, wie dieses Schiff ausgesehen hat.1 Der Nachbau kommt wohl dennoch sehr nah an das Original und ist auch mit vielen Details versehen. So sind zum Beispiel die Planken abgedichtet, im Kiel befindet sich Ballast, und die Takelage ist auch sehr vorbildsgetreu nachgebildet. Man erhält einen sehr guten, aber auch beklemmenden Eindruck davon, unter welchen Bedingungen wohl die Mannschaft damals während Wochen, Monaten und Jahren in diesem Gefährt verbracht hat.

Neben der Nao Victoria steht ein Nachbau der HMS Beagle – dem Schiff, mit dem Charles Darwin die Welt umsegelte und dabei auch Teile der Magellanstrasse sowie den Beaglekanal erkundet hat. Ein dritter Nachbau ist derjenige der «Ancud«; mit diesem Schiff trafen 1832 die ersten Siedler in Fuerte Bulnes ein. Diese Siedlung liegt etwas weiter südlich und wurde etwas später aufgegeben, als die Siedler von dort aus ins das heutige Punta Arenas übersiedelten.

EIn viertes, kleines Boot ist die «James Caird» – ein kleines, offenes Segelboot, eigentlich ein Rettungsboot. Mit diesem überquerte 1916 Ernest Shackleton gemeinsam mit 6 Gefährten die rund 1`300 km von der Elefanteninsel bis nach Südgeorgien – in eiskalten, stürmischen Gewässern. Davor war seine Expedition in die Antarktis gescheitert, er hatte sein Schiff aufgeben müssen und über ein Jahr in der Antarktis ausgeharrt, bevor die 29 Männer mit drei solchen Booten zur Elefanteninsel segelten. Dort liess Shackleton 22 Männer zurück, die während weiteren 128 Tagen ausharren mussten, bis sie endlich gerettet wurden.

In unmittelbarer Nähe des Museums liegt das Wrack der «Magellanes III«. Dieses Schiff strandete hier 1970. Seine unmittelbare Nähe zum Museum und vor allem zu dem grossen Schriftzug «Estrecho de Magellanes» bietet einen makaber anmutenden Kontrast – und ist ein Mahnmal für die auch heute noch nicht zu unterschätzende Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit dieser Wasser.

Während des Museumsbesuches erleben wir die Wechselhaftigkeit des Wetters sehr beeindruckend. Während der rund 1,5 Stunden, die wir hier verbringen, windet es immer wieder heftig, dann ist es wieder fast windstill. Zwischendurch kommt die Sonne hervor, und nur wenige Minuten später schlägt uns der Wind wieder Regen ins Gesicht. Wir sind gespannt darauf, was uns das Wetter in den nächsten Tagen alles bieten wird…

  1. Siehe hierzu insbesondere Jostmann, Christian: «Magellan oder Die erste Umsegelung der Erde«. C. H. Beck Verlag, 2022. ISBN 978-3-406-78710-2 ↩︎

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