Museumstag, zum Zweiten

Published by Olivier Flechtner on

14. November 2024

Die (spannende) militärische Sicht auf Chiles Geschichte

Erneut stärken wir uns im Hotel bei einem ausgiebigen Frühstück (Eier Benedikt, die wir zusätzlich noch mit Avocado pimpen – sehr lecker!), bevor wir uns aufmachen, um das militärhistorische Museum (Museo Histórico y Militar de Chile1) zu besuchen.

Das militärhistorische Museum befindet sich im Gebäude, in dem bis 1997 die Militärakademie angesiedelt war. Es ist die erste konkrete Hinterlassenschaft des ehemaligen Diktators Pinochet, die wir in diesen Ferien sehen: Im Eingang wird erwähnt, dass das Museum seinerzeit durch ihn in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der Armee eingeweiht wurde – diese Funktion hatte er nach dem Ende der Diktatur noch bis 1998 inne, so wie es durch die auf ihn massgeschneiderte Verfassung vorgesehen war.2

Kuratorisch ist dieses Museum eines der Besten, die wir gesehen haben. Auf demselben Niveau befindet sich nur noch das Museum in Puerto Williams (Ja, tatsächlich: so klein und abgelegen das Dorf Städtchen ist, so hochstehend ist das südlichste Museum der Welt).
Das Museum erzählt die Geschichte des heutigen Staates von der Kolonialisierung bis 1960 und ergänzt diese mit Informationen, die in den anderen Museen nicht und nur am Rande erwähnt werden. Man erfährt, wie sich das Militär entwickelt hat und welche Rolle dieses in der Entstehung des Staates gespielt hat. Auf zwei Stockwerken erfährt man Schritt für Schritt mehr über die Geschichte dieses Landes, das sich immer wieder mit militärischer Kraft behauptete. Sowohl die Zeit der Kolonialisierung wie auch die Unabhängigkeitskriege werden sachlich dargestellt, ohne (übertriebenen) Pathos oder Heroismus, sondern so, dass man nachvollziehen kann, aus welcher Perspektive die jeweiligen Entscheidungsträger handelten – so dass man auch als Europäer gut versteht, wie diese Historie des ständigen Sich-Verteidigen-Müssens das moderne Chile geprägt hat. Jedes Kapitel wird mit einer Darstellung der Konsequenzen und strategisch relevanten Veränderungen abgeschlossen, so dass die Ereignisse des nächsten Kapitels sehr logisch werden. Positiv fällt mir ausserdem auf, dass dieses Museum die Zeit des Bürgerkrieges von 1891 sehr detailliert darstellt – eine Geschichte, die ich in den (nicht wenigen) anderen Museen nicht in dieser Ausführlichkeit kennengelernt habe. Und auch die Rolle von Bernardo O’Higgins, der Chile in die Unabhängigkeit führte und darum einen festen Platz in der Geschichte des Landes hat, aber anschliessend wegen seines allzu fortschrittlichen Reformkurses zurücktreten musste, wird genauso empathielos dargestellt wie das darauffolgende politische Chaos, das die konservativen aristokratischen Kräfte letztlich zu verantworten hatten.
Mein Urteil: Bravo – solche Museen machen richtig Spass!

Hinweis: In der folgenden Bildergalerie sind in den Beschreibungen der Bilder teilweise weitere Informationen enthalten, was genau dargestellt wird. Hier würde das nämlich den Rahmen sprengen.

Kulinarisches Intermezzo

Um uns für das nächste Museum zu stärken, besuchen wir den «mercado central» und genehmigen uns eine Portion Seeigel sowie ein Ceviche mixto. Beides ist hervorragend – die fangfrischen Seeigel schmecken grossartig, ebenso wie das Ceviche, das (unter anderem) mit «Reineta» zubereitet wurde – eine Fischart, die im südlichen Pazifik verbreitet ist und ein sehr schmackhaftes, festes weisses Fleisch hat.

Präkolumbische Zeit

Das nächste Museum ist das chilenische Museum für präkolumbische Kunst.3 Hier werden einige der zahlreichen Kulturen des heutigen Südamerika dargestellt, die vor deren ersten Kontakten mit den Europäern auf dem Kontinent lebten. Zu unserem Bedauern sind die Ethnien des südlichen Teils, die wir in den letzten vier Wochen kennengelernt haben, eher untervertreten oder gar nicht erwähnt. Auch fehlen uns manchmal einige Informationen zum Kontext der ansonsten sehr gekonnt präsentierten Exponate. Dessen ungeachtet ist auch dieses Museum sehenswert und wir würden es jedem Besucher unbedingt zum Besuch empfehlen. Vor allem das untere Geschoss, das sich spezifisch den Kulturen im Gebiet des heutigen Chile widmet, ist überaus interessant und hat einige imposante Exponate. Mich persönlich begeistern die wortwörtlich handgestrickten Buchhaltungen der Inkas – von denen man weiss, dass sie diesem Zweck dienten, aber zu denen kein genauer Schlüssel vorhanden ist, so dass man nicht weiss, was genau in diesen Knoten für Informationen gespeichert sind. Vor dem Hintergrund der heute omnipräsenten Diskussion über Datenschutz und Datensicherheit gefällt mir die Feststellung, dass ein derart simples und einfaches System letztlich keine Entschlüsselung zulässt, wenn man nicht über die entscheidende Information verfügt.

… Tagesabschluss

Den Abend beenden wir erneut auf der Dachterrasse unseres Hotels – die Aussicht ist einfach schön, und nach dem heutigen üppigen Mittagessen genügen uns ein Pisco Sour, eine Platte mit gemischten Häppchen und ein anschliessendes Glas Carmenère…

  1. Museo Histórico y Militar ↩︎
  2. Für diese Funktion wurde Augusto Pinochet nach seinem Tod auch geehrt, nicht jedoch für diejenige als ehemaliger Präsident des Landes. ↩︎
  3. Museo Chileno de Arte Precolombino ↩︎

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