Erste Eindrücke aus Puerto Williams

Published by Olivier Flechtner on

2. November 2024

Puerto Williams: die «kleinste südlichste Stadt»?

Welches ist die südlichste Stadt der Welt?
Um diesen Titel streiten sich drei Kandidatinnen mit einem wohl nicht immer ernst gemeinten Eifer. Punta Arenas erhebt den Anspruch, die südlichste Grossstadt der Welt zu sein. Mit ihren 150`000 Einwohnern darf sie diesen Anspruch durchaus geltend machen. Und in der Tat gibt es südlcih von Punta Arenas keine Stadt, die mehr Einwohner hat. Dieser Punkt geht also an Punta Arenas. Übrigens: Die neuseeländische Hauptstadt Wellington liegt 10° weiter nördlich und ist somit schon lange ausgeschieden.

Das argentinische Ushuaia erhebt mit seinen 80’000 Einwohnern sodann Anspruch auf die «südlichste Stadt» der Welt. Das ist legitim, wenn man die Einwohnerzahl nimmt – und die Infrastruktur, die auf der anderen Seite des Kanals bedeutend grösser ist als hier in Puerto Williams mit seinen gerade mal knapp 2`000 Einwohnern. Ushuaia liegt auch auf der Insel Feuerland und ist dadurch auch einfacher erreichbar – die Fähre bei Primera Angostura im Norden der Insel (ja, diejenige, die wir wegen dem Sturm nicht nehmen konnten) wird von vielen Lastwagen genutzt, die die Insel mit Gütern versorgen.

Die Gretchenfrage lautet nun: Ist Puerto Williams eine Stadt? Die Ortschaft selber bejaht diese Frage vehement.

Ende März 2019 änderte das «Instituto Nacional de Estadísticas», also das Nationale Amt für Statistik, die Kriterien. Seitdem darf sich Puerto Williams zusammen mit mehreren anderen früheren Dörfen als Stadt bezeichnen. Das war vor allem wichtig, um Zugang zu anderen Finanzquellen zu erschliessen – hindert aber die Stadt nicht daran, dies auch touristisch zu nutzen und sich stolz «Ciudad más austral del mundo» zu nennen. Das ist zwar eine rein chilenische Definition, aber uns soll es recht sein: Wir sind also offiziell in der südlichsten Stadt des Planeten – Grösse ist nicht Alles!

Bericht vom 15. Februar 2019 im «Mercurio» über die Verleihung des Stadtstatus.

Erkundung zu Fuss

Es hat über Nacht geschneit, die Gipfel der Berge sind weiss, und es weht ein eisiger Wind. Dick eingepackt erkunden wir das verschlafene Dörfchen – pardon: Städtchen. Puerto Williams war ursprünglich ein reiner Marinestützpunkt, und auch heute ist die Marine noch sehr präsent. Im Hafen liegen einige Patrouillenboote, und an der Promenade wird ein Torpedo ausgestellt.
Daneben informiert uns ein Baum mit Wegweisern, dass wir hier 4`071 km von Arica entfernt sind – der nördlichsten Stadt dieses Landes. Das ist, wie wenn Zürich und Mekka sich im gleichen Land befinden würden.

Ein wichtiger Einkommenszweig in Puerto Williams ist der Fang der Königskrabben oder «centolla». Daran erinnert am Hafen das «monumento a la centolla» – ein entsetzlich phantasieloser Stapel aus vier Stück der rundlichen Körbe, mit denen diese Tiere gefangen werden.

Auf beiden Seiten des Beaglekanals erheben sich schneebedeckte Berge. Wir sind immer wieder von diesem Anblick fasziniert und entscheiden uns, morgen den Aufstieg auf den nahe gelegenen Cerro Bandera zu wagen – auch das Wetter soll recht gut sein. Wir besorgen uns darum in einem Supermarkt Proviant und genehmigen uns anschliessend ein Mittagessen – natürlich eine Portion Centolla. What else.

Ab nach Osten!

Frisch gestärkt nehmen wir unser Auto und fahren nach Osten. Am Ausgang der Stadt befindet sich der Parque Ukaki – ein Naherholungsgebiet mit Grillplätzen an einem kleinen Bach, der aus den Bergen kommt. Wir treffen dort auf eine Gruppe von vier Arbeitern, die gerade Pause machen. Der eine von ihnen – José – spricht uns an. Als er erfährt, woher wir kommen, ist er nicht mehr zu bremsen, drückt uns eine Dose Bier in die Hand und quatscht uns voll – mit viel unnützem Zeug, von dem wir die Hälfte nicht verstehen, aber auch mit ein paar Tipps für unseren Aufenthalt. Als wir uns verabschieden, will er unbedingt noch ein gemeinsames Foto und drückt uns noch eine Dose Bier in die Hand – für den Weg.

Leicht beflügelt nehmen wir die etwa fünf Minuten Weg durch den kleinen Park in Angriff. Wir sind von dem Wald begeistert. Stellen mit dichten nebeneinander stehenden Bäumen wechseln sich mit weiten, an Lärchenwälder erinnernde Passagen ab, und beinahe alle Bäume sind fast vollständig mit Flechten bedeckt. An einigen Stellen erinnert uns die Landschaft an das Berner Oberland oder auch das Wallis – und wir haben Mühe mit der Vorstellung, dass sich der Bach nur einige hundert Meter weiter ins Meer ergiesst. Manchmal reicht es aber, sich nur um 180 Grad zu drehen, und wir wähnen uns in einer komplett anderen, uns völlig fremden Landschaft.

Die Strasse führt uns weiter bis zur Caleta Eugenia, die etwa 23 km im Osten liegt. Weiter kann man nicht fahren – die Strasse endet in einer Grundstück, das dem Militär gehört. Es gibt auf der Insel noch eine Siedlung namens Puerto Toro, die noch weiter südöstlich liegt, aber nur mit dem Schiff erreichbar ist. Die Fähre fährt diesen Ort nur gerade einmal im Monat an – ansonsten sind die rund 35 Menschen, die dort leben, auf sich alleine gestellt. Auf dem Weg bis zur Caleta halten wir immer wieder an, um die schöne Landschaft zu geniessen und zu fotografieren. Wir stossen auf Täler, die wie aus einer anderen Zeit wirken – würden hier plötzlich Mammuts auftauchen, wären wir vermutlich nicht einmal besonders überrascht -, auf malerische Buchten, windzerzauste Bäume und viele andere, wunderschöne Orte.


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