Subantarktischer Regenwald und ein Kondor
3. November 2024
Auf zum Cerro Bandera
Wie geplant starten wir nach einem ausgiebigen Frühstück (es gibt hier hausgemachte Pfirsichmarmelade, die richtig lecker ist) um 9h die Wanderung zum Cerro Bandera. Das Wetter ist uns mehr als gnädig, es ist bewölkt und klart allmählich auf – und vor allem windstill, zumindest für hiesige Verhältnisse. Nach dem gestrigen eiskalten Morgen haben wir viel zu viel angezogen und müssen uns schon nach rund 150m Höhenmetern einiger Schichten entledigen.
Der gut unterhaltene und signalisierte Wanderweg beginnt rund 80m über Meer und führt durch einen subantarktischen Regenwald, der uns völlig in den Bann zieht. Der Wald wird von sogenannten Scheinbuchen oder Südbuchen der Gattung Nothofagus dominiert. Diese Bäume haben nur sehr kleine Blätter und graue, lange Stämme; uns erinnern sie ein bisschen an Schwarzerlen. Ähnlich wie bei uns die Rottanne oder Fichte sind es die letzten Bäume, die bis zur Baumgrenze wachsen – diese liegt hier auf etwa 550m über Meer. Im Gegensatz zu den Fichten aber bilden diese Bäume einen sehr guten Windschutz. Die vielen kleinen Blätter – diese sind nur gerade knapp 3cm lang und 1.5cm breit – brechen den Wind sehr effizient. Auch wenn über uns kurz eine grössere Böe durchweht, spüren wir nichts. So bildet sich im Wald ein sehr feuchtes, verhältnismässig warmes Mikroklima – und so abstrakt der Begriff eines «subantarktischen Regenwaldes» für mich bis anhin war, so greifbar wird er plötzlich.
Kaum aus dem Wald heraus, bläst der Wind wieder. Wie erwähnt, heute ist er nur sehr sanft – aber die gefühlte Temperatur sinkt gerade massiv. Mit Windjacke, Mütze und Handschuhen geht es weiter bis zum Cerro Bandera, von dem aus man eine fantastische Aussicht auf den Beagle-Kanal und dessen argentinische Seite hat. Auf dem weiteren Weg eröffnen sich spektakuläre Aussichten auf die «Dientes de Navarino», das Hauptmassiv der Insel, sowie das davor liegende Tal des Rio Róbalo. Der gestrige Schnee ist fast überall abgetaut, aber es sind noch einige Schneefelder vorhanden, die wir teilweise umgehen können, teilweise auch überqueren. Wo kein Schnee mehr liegt, können wir die Vegetation bewundern – über der Waldgrenze wachsen viele Flechten in unterschiedlichsten Farben. Einige weitere Pflanzen bilden dichte Polster, die angenehm federn, wenn man darauf steht.
Abbruch – und die Belohnung
Eigentlich haben wir geplant, bis zur Laguna del Salto zu wandern und dort diesem Fluss entlang durch den ethnobotanischen Park Omura zurück zu wandern. Jedoch macht uns ein Altschneefeld einen Strich durch die Rechnung. Dieses befindet sich an einer steilen Stelle, und die Felsen darüber und darunter sind zu steil, um darum herum zu klettern. Wir kehren somit um – und werden mit der Sichtung eines Andenkondors belohnt. Dieser Vogel erreicht Spannweiten von über 3m und kann bis zu 15kg schwer werden – es ist der schwerste Greifvogel, den es gibt. «Unser» Exemplar ist zwar nicht ganz so gross. Er kreist aber eine Weile direkt über uns, und wir sind uns nicht ganz sicher, ob wir für ihn eine Bedrohung darstellen – die riesigen Krallen, die teilweise sehr gut sichtbar sind, lassen uns jedenfalls hoffen, dass er uns nicht angreift. Nach einer Weile sind wir für ihn nicht mehr interessant, er lässt sich aber eine ganze Zeit lang elegant vom Wind tragen, der an der Bergflanke hochgedrückt wird, so dass wir ihn lange beobachten können.
Zurück im Wald sind wir erneut vom klimatischen Unterschied beeindruckt. Während des Abstiegs regnet es kurz, und wir bekommen wie schon auf unserer Wanderung im Alerce Andino einen sehr direkten Eindruck der Stimmung in diesem Wald bei Regenfall. Was uns hier überrascht, ist dass der Regen hier ganz anders riecht als bei uns. Der Geruch ist viel weniger modrig, sondern erinnert eher an frisches Moos und hat sehr würzige Noten.
Zufrieden und müde treffen wir in unserem Hotel ein – und bleiben dort. Im Gemeinschaftsraum genehmigen wir uns ein Bier und vertilgen den Proviant, den wir heute nicht gegessen haben, sortieren unsere Fotos – und fallen schon früh ins Bett.
0 Comments